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Wissensoikonomien – Ordnung und Transgression in vormodernen Kulturen

28.06.2018 - 30.06.2018

6. Jahrestagung des Sonderforschungsbereichs 980 „Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der alten Welt bis in die Frühe Neuzeit“, konzipiert von der Konzeptgruppe VII „Wissensoikonomien“ (Leitung: Nikolas Pissis, Nora Schmidt)

  

Wissen konstituiert und verändert sich relational zu den Prozessen und Netzwerken, in denen Wissen zirkuliert, in einem Oikos und dessen diversen Kontexten. Der SFB 980 „Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit“ lädt dazu ein, diese These im Rahmen seiner sechsten Jahrestagung zu diskutieren. Der antike griechische Begriff und Sachverhalt Oikos soll uns als heuristische Kategorie und Impulsgeber zur Erschließung neuer Horizonte dienen. Oikos – das griechische Wort für 'Haushalt' – bezeichnete in der Antike das ganze Geflecht und Interagieren der Protagonistinnen und Protagonisten, die in einer Hausgemeinschaft zusammenlebten und arbeiteten. Zum Oikos gehörten die Mitglieder der Familie, aber auch die Bediensteten sowie die Räume, in denen sie wirkten, die Tiere und Gegenstände mit denen und an denen sie ihre Arbeiten ausführten. Ein Oikos war zudem nie eine isolierte Einheit, sondern immer in permanenter Interaktion und Kommunikation mit anderen Akteuren verbunden. Ein Oikos beschreibt demnach ein in sich dynamisches Gebilde, das auf sich selbst bezogen und in sich in Bewegung ist, ohne sich dadurch von anderen Beziehungen auszuschließen.

In Abgrenzung zu sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Verständnismöglichkeiten fassen wir im Begriff der Wissensoikonomien Wissen daher nicht als Ressource, die gehandelt, verknappt oder inflationär verfügbar gemacht werden kann, die von einem Ort an einen anderen Ort transportiert oder verschoben werden kann, sondern als etwas, das in den Dynamiken der Aushandlungsprozesse zwischen den menschlichen Akteuren und den Objekten, an und mit denen gehandelt wird, überhaupt erst entsteht und sich in neuen Kontextualisierungen stetig verändert und neu gedacht wird. In diesem Sinne sind Wissensoikonomien dynamische Aushandlungsprozesse, die nicht vollständig und angemessen durch die Kategorie des Netzwerks gefasst werden können. Wesentlich für das Konzept der Wissensoikonomien ist, dass sie in den Kommunikationsprozessen und Verhandlungen ihres Status’ als Wissen erst entstehen und permanent modifiziert werden.

Mit diesem Instrumentarium baut der SFB auf der bereits etablierten Kategorie des Transfers auf, mittels derer verschiedene Arten von Wandel in Wissensbeständen beschrieben und in Hinblick auf die reziproken Beeinflussungsprozesse zwischen dem verhandelten Wissen und seinen jeweiligen Kontexten spezifisch analysiert werden können. Die Pluralisierung erweist sich insbesondere (aber nicht ausschließlich) für die Analyse von Phänomenen vormodernen Wissenswandels nicht nur als besonders fruchtbar, sondern aufgrund der Unterschiedlichkeit der Modi der Veränderung, die beobachtet werden können, als notwendig.

Der Begriff der Wissensoikonomie eignet sich speziell für die Beschreibung von Prozessen des Wissenswandels, die quer zu den räumlichen und epochalen Grenzziehungen der traditionellen Wissensgeschichtsschreibung stehen. Die Fokussierung des dynamischen Zusammenspiels verschiedener Faktoren in multidirektionalen, epistemischen Austauschprozessen, in denen immer wieder neue Formen von Strukturbildungen und Relationierungen generiert werden, erlaubt es zudem, auch Asymmetrien, Spannungsverhältnisse und immanente Akzentverschiebungen von Geltungszuweisungen in die Untersuchung einzubeziehen und nach regulierenden wie deregulierenden Bewegkräften innerhalb eines systemischen Zusammenhangs zu fragen. Beispielsweise lassen sich so sich verändernde Gewichtungen von zusammenwirkenden Faktoren (z. B. im Verhältnis von Autoritäts- und Erfahrungswissen) oder Fokusverschiebungen in Bezug auf mediale Aushandlungsebenen (z. B. des Status von text- und bildbasierten Wissensformen) als transgressive und ordnungsbildende Bewegkräfte untersuchen.

Auf der Tagung soll ein breites Spektrum an wissensoikonomischen Frageperspektiven und Ansätzen auch im Austausch mit verwandten und alternativen Theoriemodellen sowie im Gespräch mit sozialwissenschaftlichen Modellen und informatischen Netzwerk-Analysen sichtbar gemacht werden. Dabei werden durchaus auch wesentliche Unterschiede und potenzielle Anschlussstellen herausgearbeitet: zu libido-ökonomischen, an Freud geschulten Konturierungen einer Begehrens- oder Wunschökonomie in post-strukturaler Theoriebildungen (Deleuze, Guattari, Lyotard) oder auch zu heilsökonomischen Konzeptualisierungen. Aufbauend auf Theorien und Methoden von Akteur-Netzwerk Analysen möchten wir diese nicht im engen Sinn für (sozial)historische Interpretationen nutzen, sondern im Rahmen einer grundlegenderen Heuristik diskutieren, die potenziell interkulturelle Systembildungen beschreibbar macht und dabei auch Transgressionsmomente, Implikationen von Negativität, Grenzen und Antagonismen von Netzwerken umfasst.

In diesem Sinne sollen auf der Tagung Fragen komplexer wissensgeschichtlicher Dynamiken in vormodernen Kulturen wie auch ihre heutigen Präsentations- und theoretischen Verhandlungsformen adressiert werden, die Horizonte für eine Pluralisierung der Beschreibung von Wissenswandel eröffnen, indem sie auch Objekte, Medien und Materialitäten als Akteure und reziproke Veränderungsbewegungen zwischen Wissenselementen und -beständen einbeziehen.

Mehr Informationen finden Sie hier

Zeit & Ort

28.06.2018 - 30.06.2018

Humboldt-Box Berlin
Schlossplatz 5
10178 Berlin-Mitte

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