Springe direkt zu Inhalt

Geschichte der Sinologie

Geschichte der Sinologie / Chinastudien an der Berliner Universität und der Freien Universität Berlin

Die Sinologie / Chinastudien am Ostasiatischen Seminar (OAS) der Freien Universität Berlin gehört zu den größten und traditionsreichsten sinologischen Fachrichtungen Deutschlands. Ihre Geschichte reicht zurück in die Phase der Herausbildung und Institutionalisierung des Faches im 19. Jahrhundert , und ihre Entwicklung war sowohl von der allgemeinen Geschichte Deutschlands als auch von der komplexen Geschichte der Stadt Berlin geprägt. Ebenso haben übergreifende wissenschaftstheoretische Entwicklungen und das Profil der einzelnen Lehrstuhlinhaber die Ausprägung des Faches zu bestimmten Zeiten beeinflusst.

Berliner Universität

An der von Wilhelm von Humboldt 1810 gegründeten Berliner Universität wurden erstmals 1833 von dem Orientalisten Wilhelm Schott (1802-1889) und dem Sprachwissenschaftler Heymann Steinthal (1823-1899) Vorlesungen zur chinesischen Sprache und Philosophie gehalten, damals noch innerhalb der Philosophischen Fakultät. In dieser frühen Phase, die von Schott, Steinthal und seinen Nachfolgern Georg von der Gabelentz (1840-1893) und Wilhelm Grube (1855-1908) repräsentiert wird, beschränkte sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit China im wesentlichen auf die Bereiche von klassischer Sprache und klassischem Schrifttum, bei Grube erweitert durch Themen der Volkskunde und Religion. 1912 richtete die Universität dann innerhalb der philosophischen Fakultät einen Lehrstuhl speziell für Sinologie ein, dessen erster Inhaber Jan Jacob Maria de Groot (1854-1921) war. Seine Arbeiten, die überwiegend im Bereich der chinesischen Religionen liegen, spiegeln ein damals verbreitetes Überlegenheitsdenken Europas gegenüber China wider, das dann in der europäischen Kolonialpolitik manifest wurde.

Auf de Groot folgte 1923 Otto Franke (1863-1946), der mit verschiedenen wissenschaftstheoretischen Forderungen (Differenzierung des Faches nach verschiedenen Wissensgebieten, Hinwendung zur chinesischen Gegenwart, Verbindung von klassischer und moderner Sinologie, Quellenkritik in der Historiographie und Systematisierung des Wissens über China) und seiner Zuwendung zur chinesischen Geschichte, die in seine fünfbändige "Geschichte des chinesischen Reiches" (1930-1952) mündete, wohl der bedeutendste Vertreter der deutschen Sinologie seiner Zeit war.

Die von Otto Franke geforderte Differenzierung und Spezialisierung der Sinologie fand erstmals in der Weimarer Republik Verwirklichung, die in dieser Hinsicht als ein Höhepunkt der Entwicklung der Sinologie in Berlin gelten kann. Hier ist zum einen die Tätigkeit verschiedener Privatdozenten zu nennen: Erich Hauer (1878-1936) in den Bereichen Philosophie sowie mandschurische Sprache und Geschichte, Erich Schmitt (1893-1955) in klassischer Schriftsprache und Philosophie, Walter Simon (1893-1981) als Linguist und Erich Haenisch (1880-1966), der sich mit Sprache und klassischem Schrifttum beschäftigte und 1932 zum Nachfolger Otto Frankes ernannt wurde. Zum anderen bereicherten die Vertreter anderer Fächer und Institutionen die China-bezogene Forschungs- und Lehrtätigkeit in der Weimarer Republik: So machte sich etwa der Mediziner Franz Hübotter (1881-1967) um eine vorurteilsfreie Beschäftigung mit der chinesischen Medizin und ihrer Geschichte verdient. Überdies waren an der Berliner Universität die Bereiche chinesische Kunst (Otto Kümmel von der "Ostasiatischen Zeitung"), chinesische und asiatische Religionen (Johannes Witte von der Theologischen Fakultät), Buddhismus (F.W.K. Müller vom Museum für Völkerkunde), Volks- und Landeskunde (Georg Wegener von der Handels-Hochschule) vertreten, und China betreffende Vorlesungen an anderen Hochschulen Berlins sorgten für zusätzliche Angebote im Bereich der Chinastudien.

Chinesisch und modernes China am Seminar für Orientalische Sprachen

Unabhängig von der Philosophischen Fakultät wurde an der Berliner Universität 1887 das "Seminar für Orientalische Sprachen" (SOS) eingerichtet, das – im Zusammenhang mit den kolonialpolitischen Intentionen Deutschlands – zukünftigen Beamten des Auswärtigen Reichsdienstes und anderen Vertretern praktischer Berufstätigkeit in China sprachliche und landeskundliche Kenntnisse des gegenwärtigen China vermitteln sollte. Zu den bekannteren Dozenten und Professoren des SOS gehörten in der kolonialen Phase des Deutschen Reiches Carl Arendt (1838-1902), der die Grundlagen für den Unterricht der chinesischen Umgangs- und Schriftsprache in Deutschland legte, Alfred Forke (1867-1944), der sich besonders mit chinesischer Philosophie befasste, und Wilhelm Schüler (1869-1935). Die 1898 begründeten und jährlich herausgegebenen "Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen" (MSOS) entwickelten sich in der Folgezeit zu einem wichtigen wissenschaftlichen Publikationsforum für Sinologen und Japanologen.

Im Nationalsozialismus erfolgte eine am Interesse der Nutzbarmachung auslandswissenschaftlicher Kenntnisse für die nationalsozialistische Außenpolitik orientierte Reorganisation des SOS: Es wurde 1938 in Auslandshochschule umbenannt, die 1940 mit der Deutschen Hochschule für Politik zur Auslandswissenschaftlichen Fakultät zusammengeschlossen wurde. Der Nationalsozialismus beschädigte auch das Fach Sinologie dramatisch: Erich Haenisch wählte aufgrund seines Eintretens für diskriminierte und verfolgte Sinologen (den 1935 wegen seiner jüdischen Abstammung entlassenen Walter Simon und den in Buchenwald inhaftierten und später ermordeten Henri Maspero) eine Nischenexistenz. Ferdinand Lessing (1882-1961), der am SOS gelehrt hatte, migrierte in die USA, Walter Simon ging 1936 nach London, und ebenfalls kehrten Absolventen und Studenten des SOS und der Berliner Universität wegen rassischer und politischer Verfolgung Deutschland den Rücken, unter ihnen: Wolfram Eberhard (1909-1989) und Franz Michael (1907-1992). Der in Berlin als Bibliotheksleiter tätige Sinologe Philipp Schaeffer (geb. 1894) wurde wegen seiner Widerstandstätigkeit in der Gruppe Rote Kapelle 1943 hingerichtet.

Humboldt-Universität

Die Berliner Universität befand sich nach 1945 im sowjetischen Sektor Berlins und nahm den Lehrbetrieb 1946 wieder auf. 1949 wurde sie in Humboldt-Universität zu Berlin umbenannt. Im Fach Sinologie wurde der Lehrbetrieb Ende der 1940er Jahre aufgenommen.

Freie Universität Berlin

Im amerikanischen Sektor Berlins wurde 1948 die Freie Universität Berlin gegründet, die 1956 das Fach Sinologie einrichtete. Dieses war zunächst der Philosophischen Fakultät zugeordnet und unter der Leitung des damaligen Lehrstuhlvertreters Walter Fuchs (1902-1979) und seines 1961-1963 tätigen Nachfolgers Alfred Hoffmann (1911-1997) klassisch-philologisch ausgerichtet. Seit Mitte der 1960er Jahre wurde die Sinologie von den damaligen bildungspolitischen Reformen erfasst. Das Fach gehörte dem Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften an und wurde sozialwissenschaftlich ausgerichtet, in dem Sinne, dass die verschiedenen Aspekte der gesellschaftlichen Realität und Geschichte Chinas in Rückbindung an sozialwissenschaftliche Theorien und Methoden erfasst werden. Seit 1999 gehört die Sinologie zum Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften

Der in den 1960er Jahren für einige Zeit vakante Lehrstuhl für Sinologie wurde 1969 mit Bodo Wiethoff besetzt, der bis 1977 Geschichte Chinas lehrte. Ihm folgte Erling von Mende, der die Geschichte insbesondere der Ming- und Qing-Zeit bis zu seiner Emeritierung 2007 vertrat. 2010 wurde die Professur zur Geschichte und Kultur Chinas mit Klaus Mühlhahn (seit 2020 beurlaubt) besetzt, dessen Stelle zurzeit (seit 2022) durch Ines Eben von Racknitz vertreten wird.

Die 1971 eingerichtete zweite Professur hatte bis 1994 Kuo Heng-yü (1929-2011) als Spezialist für die Geschichte und Politik Chinas im 20. Jahrhundert inne. Diese Stelle war ab 1998 mit Eberhard Sandschneider besetzt, ab 2003 in der Lehre und der Betreuung der Studierenden vertreten durch Bettina Gransow. Seit 2017 vertritt Genia Kostka am Institut das Fach "Politik Chinas".

Eine weitere Professur mit dem Schwerpunkt "Neuere chinesische Geschichte und Zeitgeschichte" war von 1990 bis 2014 mit Mechthild Leutner besetzt.

Im Rahmen von Juniorprofessuren forschten und lehrten Katja Levy, Elena Meyer-Clement und Sabrina Habich-Sobiegalla am Institut, die seit 2022 die Professur "Staat und Gesellschaft des modernen China" innehat.

Die klassische "Kultur und Geschichte Chinas" mit Schwerpunkt Religionen wird seit 2016 durch Christian Meyer vertreten. Seit 2019 ist außerdem Andreas Guder als Professor für "Didaktik des Chinesischen sowie Sprache und Literatur Chinas" für den neuen Lehramtsstudiengang Chinesisch verantwortlich.

.

 

Mentoring
Tutoring